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Dalai Lama
"Wenn Ihr Körper Fleisch braucht, ist es besser, große Tiere zu essen."
Der Dalai Lama und sein ganz besonderes Verständnis von Vegetarismus
Die Darstellung des Buddhismus als vorbildlich im Umgang mit nicht-menschlichen Tieren basiert auf Irrtum oder vorsätzlicher Falschinterpretation. Schon die Behauptung, Buddha selbst habe „Unterlassen jeder Gewalttätigkeit gegenüber allen Wesen“ verlangt, ist nicht haltbar: Ob es besagten Buddha, sprich den Königssohn Siddharta Gautama, tatsächlich je gegeben hat, ist völlig ungeklärt. Vieles spricht dafür, dass es sich um ein rein mythologisches Konstrukt handelt. Gleichwohl wird in Tierschützerkreisen vielfach verbreitet, es sei nach der Lehre des Buddha „das Tier der Bruder des Menschen“, weswegen es gelte, „Tiere zu achten und zu schützen“. In der Regel wird die in Tibet praktizierte – und hierzulande populärste – Variante der buddhistischen Lehre als Beleg angeführt für die prinzipielle Tierfreundlichkeit des Buddhismus. Der Dalai Lama als dessen bekanntester Vertreter trifft nicht zuletzt deshalb weltweit auf große Sympathien. Sein erneuter Deutschlandbesuch vom 20.-27. Juli 2007, bei dem er in Hamburg buddhistische Unterweisungen erteilt, wird auch und gerade von Tierfreunden umjubelt.
Ein näherer Blick auf den Tibetischen Buddhismus zeitigt ein ganz anderes Bild als das Klischee esw wahrhaben will. Die buddhistische Lehre gelangte in Tibet ab Ende des 10. Jahrhunderts zu üppiger Blüte. Das Land wurde mit einem Netz an Klöstern überzogen, aus denen sich zahlreiche SWchulrichtungen und Sekten herausbildeten. Aus einer dieser Schulen ging nach blutigen Kämpfen um die Vorherrschaft zu Beginn des 15. Jahrhunderts der sogenannte Gelbmützenorden hervor, der sich mit Hilfe mongolischer Verbündeter sämtlicher innenpolitischer Widersacher entledigte. Angehörige anderer buddhistischer Schulen wurden mit unerbittlicher Härte verfolgt, zu zigtausenden erschlagen, eingekerkert oder vertrieben.. Mitte des 17. Jahrhunderts stieg das Oberhaupt des Ordens, der 5. Dalai Lama, zur höchsten geistlichen und weltlichen Autorität des Landes auf. Eben dieser 5. Dalai Lama entwickelte jene absolutistische Hierokratie mit feudaler Leibeigenschaftsordnung und gnadenloser Unterdrückung und Ausbeutung der Massen, wie sie bis zum Einmarsch der Chinesen im Jahre 1950 Bestand hatte.
Sein Nachfolger, der aktuelle 14.Dalai Lama, musste im Frühjahr 1959 Tibet verlassen. Auf seinen zahllosen Missionsreisen in den Westen sucht er immer wieder die besonbdere Friedfertigkeit seiner Glaubenslehre zu unterstreichen durch die Behauptung besonderen Respektes jedem lebenden Wesen und insofern auch jedem Tier gegenüber, aus dem sich Vegetarismus beziehungsweise Veganismus folgerichtigg herleiteten: "Ich meine", so wiederholt er gebetmühlenhaft, "dass wir Menschen von Natur aus Vegetarier sind sind und alle nur denkbaren Anstrengungen unternehmen sollten, anderen Lebewesen keinen Schaden zuzufügen."(1) Tatsache ist: der Tibetische Buddhismus kennt ebensowenig wie die anderen Varianten der buddhistischen Lehre eine Verpflichtung zu vegetarischer oder veganer Lebensweise. Noch nicht einmal auf der Ebene des Klerus enthält man sich des Verzehrs getöteter Tiere.
Vorreiter der Tierschutzbewegung?
Mitte des Jahres trat die international agierende Tierrechtsorganisation PeTA (People for the ethical Treatment of Animals) an ihn heran, er möge sich gegen die Eröffnung einer Filiale der US-Fastfoodkette Kentucky Fried Chicken in Lhasa einsetzen. Umgehend schickte er eine Protestnote an die Konzernleitung in Louisville/Kentucky, in der er betonte, dass “die grausame Behandlung von Hühnern, die für KFC gezüchtet und geschlachtet werden, die Grundwerte der Tibeter verletzt.“ Der Verzehr von Hühnern, so seine (gänzlich unsubstantiierte) Behauptung, sei in Tibet erst durch die chinesischen Kommunisten verbreitet worden. Er selbst sei “seit vielen Jahren vom Leiden von Hühnern besonders betroffen. Es war der Tod eines Huhnes, der mich endgültig zum Vegetarier gemacht hat. Wenn ich heute eine Reihe von Hühnern in einer Metzgerei hängen sehe, schmerzt es mich.” Er schließt sich den Forderungen von PeTA an, Verbesserungen in der Haltung der Hühner einzuführen, mithin wirksamere Betäubungsmethoden bei der Schlachtung einzusetzen. Für eine Abschaffung der Hühnermast plädiert er nicht. Ebensowenig wie all die sonstigen “Prominenten”, die bei PeTA auf- und abparadieren - von Pamela Anderson und Nina Hagen bis Reinhard Mey und Phil Collins - und allenfalls eine Reform der Zucht-, Haltungs-, Transport- und Schlachtbedingungen von “Nutz”tieren fordern. In den Publikationen von PeTA wird der Dalai Lama werbewirksam zum Vorreiter der Tierschutzbewegung stilisiert, der er als Buddhist dem Wesen nach ja immer schon gewesen sei.
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Es mutet reichlich seltsam an, wenn ausgerechnet buddhistische
Mönche (hier in McLeodGanj/
Dharamsala) Plastiktüten voll
blutigen Schlachtfleisches nach
Hause tragen. Photo: Goldner |
Es passt diese Vereinnahmung des Dalai Lama durch PeTA vorzüglich zu dessen seit Jahren gepflogener Selbststilisierung als Vorkämpfer absoluten Gewaltverzichtes, als welcher er das Töten von Tieren kategorisch ablehnt. Allerdings, so Lama Thubten Ngawang, langjähriger Leiter des Tibetischen Zentrums in Hamburg, in feinsinniger Argumentation, , sei der „Genuß von Fleisch nicht mit dem Töten gleichzusetzen“. Sofern der gläubige Buddhist das Tier, das er verzehre, nicht selbst getötet habe, befinde er sich im Einklang mit den Geboten des Buddhas Dharma. Nur der Tötungsakt selbst sei untersagt, die anschließende Verwertung, sprich: der Verzehr des getöteten Tieres nicht. Und selbst für das Tötungsverbot gebe es Ausnahmen: Tibetischen Buddhisten etwa sei das Töten von Tieren grundsätzlich erlaubt, „da in ihrem Hochgebirgsland oft zu wenig wächst, als dass man auf Fleisch verzichten könnte.“ Und selbst für exilierte Tibeter, die sich in Europa oder USA problemfrei vegetarisch oder vegan ernähren könnten, wenn sie nur wollten, hat Geshe Ngawang einen Ausrede parat: „Viele Tibeter im Exil sind den Fleischverzehr so gewöhnt, dass sie ohne ihn krank werden. In dem Fall gilt es als vorrangig, dass die Lebenskraft für die Ausübung der Religion aufrechterhalten wird.“(2) Die gerade auch in Tierschützerkreisen kultivierte Auffassung, es sei dem Buddhismus und insbesondere dessen tibetischer Variante ein Höchstmaß an Achtung vor dem Tiere zueigen, könnte unzutreffender nicht sein.
Schlechtes Karma
Ungeachtet aller Rhetorik wurde im „alten Tibet“ stets auch Jagd betrieben: Wildtierpelze zählten seit je zum bevorzugten Handelsgut. Mit Tiger-, Leoparden- oder Fischotterfell verbrämte Festtagsgewänder galten als Statussymbol; besonderen Symbolwert hatte Tigerfell auch in der tibetischen Armee: die Offiziere trugen entsprechend gefertigte Schürzen oder Kapuzen, in der Vorstellung, Mut und Kraft des Tigers übertrügen sich dergestalt auf sie. Innerhalb des hohen Klerus benutzte man Großkatzenfelle als Sitzunterlagen; ein Anfang des 18. Jahrhunderts u.Z. für den 6. Dalai Lama hergestelltes Prunkzelt, das sich von einem Gottkönig zum nächsten weitervererbte, bestand komplett aus Tiger- und Leopardenfellen. Auch zur Fertigung kultischer Gerätschaften - Fetische, Amulette, Talismane etc. - wurden und werden seit je Wildtiere gefangen und getötet, desgleichen zur Herstellung magischer Substanzen und Medikamente.
Wie in seinem Schreiben an die Konzernleitung von Kentucky Fried Chicken bezieht der Dalai Lama sich auch in seinen Vorträgen immer wieder auf ein vorgebliches Schlüsselerlebnis, das er auf einer Südindienreise im Jahre 1965 gehabt habe: zufällig habe er das Schlachten eines Huhnes beobachtet und habe, von zutiefst buddhistischem Mitgefühl für das Huhn überwältigt, sofort den Beschluß gefasst, sich künftig streng vegetarisch zu ernähren. Bis dahin hatte er, wie üblich unter tibetisch-buddhistischen Mönchen und Nonnen, sehr wohl Fleisch gegessen, die dafür erforderlichen Tiere jedoch, um selbst kein schlechtes Karma anzuhäufen, von moralisch tiefstehenden Andersgläubigen - von Moslems also oder von niedrigkastigen Hindus - schlachten zu lassen, die dafür Jahrtausende in der Hölle zu schmoren haben. Hierbei würden sie, wie es in einem der “Heiligen Texte” heißt wie ein Fisch oder Brathuhn und täglich aufs Neue “mit einem spitzen Pfahl vom Anus her durchstoßen, bis dieser wieder am Scheitel austritt" und dergleichen mehr. Interessant sind insofern auch die Strafen, die die lamaistische Lehre bei Mangel an rechtem Glauben vorsieht: derart "Verblendete" würden als Tiere wiedergeboren, die "ihrer Haut, ihres Fleisches und anderer Dinge wegen auf vielfältige Weise geschlachtet [werden]. Sie werden als Reittiere ausgenutzt und geschlagen, zum Pflügen und Melken und anderem benutzt, von vielen unerträglichen Leiden Tag und Nacht ohne Unterlaß gepeinigt".(3) Ganz offenbar besteht innerhalb des tibetischen Buddhismus durchaus Bewußtheit hinsichtlich tierlichen Leidens. Gleichwohl gab der Dalai Lama nach kurzer Zeit und angeblich auf Anraten seiner Ärzte die vegetarische Ernährung wieder auf. Desungeachtet predigt er auf seinen West-Reisen allenthalben Vegetarismus, gelegentlich, wie etwa auf einer Veranstaltung der grünen Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin, sogar in Verbindung mit ein paar zusammengeklaubten Tierrechtspositionen, und reißt das Publikum damit regelmäßig zu Begeisterungsstürmen hin.
"...nur ein wenig Schmerz zufügen"
Seit je setzt er Vegetarismus- und Tierrechtsrhetorik ganz gezielt als Propagandainstrumente ein, gerne verweist er insofern auf seine Ehrenmitgliedschaft in der (rechtslastigen) Tier-schutzorganisation Fondation Brigitte Bardot, die ihrerseits mit dem prominenten Mitglied die Spendenbereitschaft von Tierfreunden aus aller Welt ankurbelt. Erwartungsgemäß offenbart ein Blick hinter die Kulissen, dass es mit seinem vorgegebenen Tierschutzengagement nicht sehr weit her ist. Bekanntlich lebt der Dalai Lama seit seiner Exilierung in McLeodGanj, einem kleinen Ort nahe der nordindischen Stadt Dharamsala. Seine Residenz ist von einem weitläufigen Parkareal umgeben, in dem er sich selbst ab und an als Gärtner betätigt. Höchst merkwürdig ist sein Umgang mit größeren Vögeln, die ihn dabei aus nicht nachvollziehbarem Grunde stören: "So greife ich gelegentlich zu einem meiner Luftgewehre, die ich mir in Indien zugelegt habe, um diese gierigen Eindringlinge abzuschrecken.” Da er als Kind im Sommerpalast der Gottkönige in Lhasa viel Zeit damit zugebracht habe, mit einem Gewehr seines Amtsvorgängers zu üben, betrachte er sich als ziemlich guten Schützen: “Natürlich würde ich nie einen Vogel töten, sondern ich will den ungebetenen Gästen nur ein wenig Schmerz zufügen, um ihnen eine Lektion zu erteilen".(4) In einer seiner autorisierten Biographien wird er als "Meisterschütze" mit der Pistole gepriesen, der gerne von seinem Frühstückstisch aus auf Hornissen im Garten schieße;(5) auf Vögel, wie sein Privatsekretär Kelsang Gyaltsen nach lautwerdender Kritik an diesem abartigen Hobby betonte, schieße “Seine Heiligkeit” tatsächlich nur, um sie zu verscheuchen.(6) Es ist nicht bekannt, wie man mit einem Gewehr oder einer Pistole auf Vögel schießen kann in der Absicht, ihnen Schmerzen zuzufügen und dabei nicht Gefahr zu laufen, sie schwer zu verletzen oder zu töten. In gewissem Sinne allerdings passt der Dalai Lama auch ganz gut ins Bild, das PeTA von sich abgibt: TV-Moderatorin und Dalai Lama-Freundin Nina Ruge etwa, die sich in einer großaufgemachten PeTA-Kampagne gegen Tierversuche ausspricht, besteht dem Vernehmen nach darauf, weiterhin ihren Nerzmantel zu tragen, selbstverständlich verzichtet sie auch nicht auf Fleischgerichte.(7) Offenbar wird bei den PeTA-Galionsfiguren in erster Linie auf die Prominenz geachtet, Ethik ist nicht so wichtig. Bannerträger wie der Dalai Lama bestätigen diese Einschätzung, auch wenn der tibetische “Gottkönig” sich Anfang 2006, laut beklatscht von PeTA und dem World Wide Fund for Nature (WWF), besorgt über die „Oberflächlichkeit“ von Menschen äußerte, die "teure Juwelen und mit Pelz besetzte Kleidung" trügen. Berichte westlicher Pro-Tibet-Medien, diese Äußerung habe dazu geführt, dass gläubige Buddhisten in Tibet, Nepal und Indien sofort ihre pelzbesetzte Kleidung verbrannt hätten, sind reiner Mythos.
Nach Angaben von Dalai Lama-Freund und Alt-Nazi Heinrich Harrer sei bei Besuchen “Seiner Heiligkeit” in Harrers österreichischer Heimat auf Wunsch des Gastes stets “Tafelspitz” gereicht worden, ein Rindfleischgericht, das mit einem “ordentlichen Fettrandl” versehen sein mußte.(8) Laut Dalai Lama sei es ethisch verantwortlicher - und damit appetitanregender (!), wie er schreibt -, ein großes Tier wie ein Rind zu töten, von dem dann viele Menschen essen könnten, als viele kleine wie etwa Shrimps, bei denen “für eine einzige Portion viele Leben geopfert werden” müßten. Darum: “Wenn Ihr Körper Fleisch braucht, ist es vielleicht besser, große Tiere zu essen."(9) Er selbst verzehrt bevorzugt Kalbsbrühwürste, anderes, so einer seiner engsten Mitarbeiter, vertrage sein nervöser Magen nicht.(10)
Colin Goldner
(1) Dalai Lama: Im Einklang mit der Welt. Bergisch-Gladbach, 1993, S. 44
(2) Ngawang, Thubten: Was Sie schon immer über Buddhismus wissen wollten...: Fragen und Antworten. Hamburg, 1998 (2.Aufl.), S. 29
(3) Tsöndrü, Jeshe: Der essentielle Nektar der Edlen Lehre: Stufenweg zur Erleuchtung. Hamburg, 1990, S. 37f.
(4) Dalai Lama: Das Buch der Freiheit. Bergisch-Gladbach, 1990, S. 272
(5) Hicks, Roger/Chogyam, Ngapa: Great Ocean: The Dalai Lama. London, 1990, S. 155
(6) Gyaltsen, Kelsang: "Er schießt nur in die Luft" (Interview) in: Facts, 9/1999, S. 99
(7)"Tierschützerin Nina Ruge trägt Nerz ihrer Mutter auf". AP vom 8.6.2001
(8) Persönliche Mitteilung an Autor Goldner vom 22.6.1998
(9) Dalai Lama: Im Einklang mit der Welt. Bergisch-Gladbach, 1993, S. 44
(10) vgl. Schneeberger, Ruth: Seine Heiligkeit und Ich: 'Der Dalai Lama isst Würstchen'. in: www.sueddeutsche.de/muenchen/artikel/449/92357
Der Artikel erschien anläßlich des Besuches des Dalai Lama in Hamburg Ende Juli 2007 in "Tierbefreiung" 55, 6/07, S.56f.
Leserreaktion
Heft 55
Heft 60
Heft 62 |
Fast eineinhalb Jahre (!) nach dem Erscheinen des obigen Artikels wurde aus buddhistischer bzw. pro-tibetischer Ecke heraus ein Leserbrief dazu vorgelegt, genauer: zu einem kritischen Beitrag Colin Goldners "Tierrechte und Esoterik" in dem von Susann Witt-Stahl 2007 herausgegebenen Sammelband Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen:
Beiträge zu einer kritischen Theorie für die Befreiung der Tiere. In einer Passage dieses Beitrages geht es auch um den Dalai Lama bzw. den Tibetischen Buddhismus, hauptsächlich aber geht es um die rechtslastige Neuoffenbarungsgemeinschaft "Universelles Leben". Der Sammelband war in "Tierbefreiung" 56 [9/07] rezensiert worden, der Goldner-Beitrag kam in dieser Rezension auf gerade einmal acht Zeilen vor, die Passage über den Buddhismus in einem einzigen Wort (!). Dennoch bezieht sich der in "Tierbefreiung" 60 [10/08] abgedruckte Leserbrief eines Ivo Windrich ganz ausdrücklich auf den Sammelbandbeitrag, obgleich dieser der LeserInnenschaft des Heftes nicht notwendigerweise bekannt ist. Ergänzt wird der Leserbrief durch einen vom gleichen Verfasser erstellten Artikel Tierethik in der buddhistischen Lehre, der allerdings mit dem von Goldner kritisierten Dalai Lama bzw. dem Tibetischen Buddhismus nur sehr am Rande zu tun hat. Eine reichlich merkwürdige - gleichwohl durchaus szenetypische - Vorgehensweise...
Eine weitere Leserbriefschreiberin, offenbar ebenfalls buddhistisch inkliniert, sucht in einem in Heft 62 veröffentlichten Beitrag den Leserbrief Windrichs ausdrücklich zu bestätigen und geht dabei in gleicher Manier vor wie dieser in seinem angehängten Artikel: sie zitiert eine endlose Passage aus einem klassischen buddhistischen Lehrtext, in dem Buddha höchstpersönlich einem seiner Schüler erklärt, "warum das Fleischessen aufzugeben ist und dass er das Fleischessen nicht erlaubt hat." Dass der Tibetische Buddhismus mit der "ursprünglichen" Lehre des Buddha, soweit diese überhaupt zu rekonstruieren ist, wenig bis gar nichts gemein hat, erwähnt Leserbriefschreiberin Brigitte Schwermer nicht.
Besonders erfreulich ist insofern ein ebenfalls in Heft 62 erschienener Leserbrief von Jan Wischnewski, der die Vorgehensweise Windrichs [und implizit auch Schwermers] einer detaillierten Analyse unterzieht. Der Leserbrief wird mit ausdrücklicher Erlaubnis des Autors in Originallänge wiedergegeben:
Zum Leserbrief von Ivo Windrich in Heft 60
Der Leserbrief von Ivo Windrich in Heft 60, in dem er sich auf einen Aufsatz Colin Goldners ("Tierrechte und Esoterik – eine Kritik") bezieht, den dieser in einem von Susann Witt-Stahl herausgegebenen und in Heft 56 rezensierten Sammelband ("Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen" Aschaffenburg 2007) veröffentlicht hat, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Schon alleine deshalb, weil Goldners Aufsatz in besagter Rezension in gerade einmal achteinhalb Zeilen erwähnt wird und in diesen paar Zeilen tatsächlich nur ein einziges Wort auf seine tierrechtlich begründete Kritik am tibetischen Buddhismus hinweist, auf die Windrich nunmehr abstellt ("Die Kirchen und ihre tierfeindlichen Lehren werden schließlich ebenso kritisiert wie der Buddhismus und der Hinduismus"1); und zudem, weil Goldner ebendiese Kritik in Heft 55 der "Tierbefreiung" sehr viel ausführlicher vorgetragen hat, als er dies in Witt-Stahls Sammelband tut, in dem er sich schwerpunktmäßig mit der rechtslastigen Kultgemeinschaft "Universelles Leben" befasst und nur nebenher mit sonstigen esoterischen und religiösen Bezugssystemen.2
Weshalb Windrich nicht auf den Goldner-Artikel aus Heft 55 bezugnimmt, sondern auf einen knapp gehaltenen Exkurs in einem Aufsatz, den die LeserInnenschaft der "Tierbefreiung" nicht notwendigerweise kennt, weil darüber im Heft außer besagten achteinhalb Rezensionszeilen nichts zu lesen stand, bleibt sein Geheimnis.Vielleicht erklärt es sich ja darin, dass seine konstruierten Anwürfe gegen den Aufsatz in sich zusammengefallen wären, hätte er sie an dem sehr viel ausführlichen Artikel zum Thema von Heft 55 festgemacht.
Windrich bedient sich in seiner Replik, ebenso wie einem angehängten Artikel über "Tierethik in der buddhistischen Lehre", des ebenso simplen wie szeneüblichen Tricks, Kritik am tibetischen Buddhismus zurückzuweisen im Rekurs auf allgemeine buddhistische Lehrauffassungen, die mit diesem allerdings nur sehr entfernt, wenn überhaupt, zu tun haben. Unabhängig davon, dass es, wie in jedem Religionssystem, auch innerhalb des Buddhismus enorme Diskrepanzen und Widersprüche zwischen den Vorgaben der reinen Lehre und der real vorzufindenden Praxis gibt - ethische Maßgaben, wie sie dem "historischen" Buddha zugeschrieben werden, werden in den verschiedenen Varianten des Buddhismus ganz unterschiedlich interpretiert und umgesetzt -, stellt der tibetische Vajrayana-Buddhismus, um den es in Goldners Aufsatz geht, eine eigenständige Sonderform des Buddhismus dar, die in ihrer Einbindung von animistischem Dämonenkult und tantrischen Sexualriten mit der "Lehre des Buddha", wie sie in anderen Teilen Südostasiens gepflogen wird, nicht viel gemein hat.
Goldner hat in seinem Aufsatz in Heft 55 alles Wesentliche zum Thema "Tibetischer Buddhismus und Tierethik" gesagt. Insbesondere hat er auf die Widersprüche hingewiesen, die sich in den Verlautbarungen des Dalai Lama als bekanntestem Vertreter des Vajrayana und seiner tatsächlichen Lebenspraxis zeigen. Zwei Punkte, auf die Windrich repliziert, seien noch einmal ausgeführt: Laut Dalai Lama, so Windrich, seien "die Tibeter in der Regel keine Vegetarier, da es in Tibet häufig kein Gemüse gibt und Fleisch folglich eine wichtige Nahrungsquelle bildet." Ungeachtet dessen, dass Goldner nicht "die Tibeter" kritisiert, sondern den tibetisch-buddhistischen Klerus, der sich entgegen vielkolportierter Propaganda keineswegs des Fleischverzehrs enthält, ist die implizite Behauptung, es sei aufgrund der klimatischen Extrembedingungen in Tibet Ackerbau praktisch unmöglich, was Fleischkonsum unverzichtbar mache, definitiv falsch: "Das Kernland Tibets", so der Ethnologe und Pro-Tibet-Aktivist Gerhard Schuster, "in dem die meisten Tibeter leben, liegt zu beiden Seiten des Flusses Tsangpo und seiner Nebenflüsse. Hier auf einer Höhe von durchschnittlich 3700 Metern wächst fast alles, was die Tibeter zum Leben brauchen: Gerste und Hochland-Weizen, verschiedene Hülsenfrüchte und Gemüsearten.“ In Kham könne der Monsun bis weit nach Norden vordringen: „Dies verursacht ein für Tibet unerwartetes, fast subtropisches Klima, welches Kham zum üppigen Weideland der Khampa-Nomaden und zum fruchtbarsten Bodenbaugebiet ganz Tibets macht.“3 Wie Geshe Thubten Ngawang, langjähriger Leiter des "Tibetischen Zentrums " in Hamburg, argumentiert, sei der „Genuß von Fleisch nicht mit dem Töten gleichzusetzen“. Sofern der gläubige Buddhist das Tier, das er verzehre, nicht selbst getötet habe, befinde er sich im Einklang mit den Geboten der buddhistischen Lehre: nur der Tötungsakt selbst sei untersagt, die anschließende Verwertung, sprich: der Verzehr des getöteten Tieres nicht. Sogar für das Tötungsverbot gibt es Ausnahmen: Tibetischen Buddhisten sei das Töten von Tieren grundsätzlich erlaubt, „da in ihrem Hochgebirgsland oft zu wenig wächst, als dass man auf Fleisch verzichten könnte.“ Und selbst für exilierte Tibeter, die sich in Europa oder USA problemfrei vegetarisch oder vegan ernähren könnten, wenn sie nur wollten, hat Geshe Ngawang einen Ausrede parat: „Viele Tibeter im Exil sind den Fleischverzehr so gewöhnt, dass sie ohne ihn krank werden.“4 Jhado Rinpoche, ehemaliger Abt des Namgyäl-Klosters in Dharamsala und enger Vertrauter des Dalai Lama, weiß seinen Hamburger Kollegen zu bestätigen. Auf die Frage, ob der Kauf von Fleisch nicht indirekt für das Töten von Tieren verantwortlich sei und damit der buddhistischen Lehre widerspreche, antwortet er: „Nein, denn wenn wir Fleisch kaufen, sehen und hören wir nicht, dass ein Tier direkt für uns getötet wurde. Fleischverzehr ist keine unheilsame Handlung.“5 Der Dalai Lama selbst verzehrt regelmäßig Fleisch, die vielzitierte Behauptung, er müsse dies aus gesundheitlichen Gründen tun, und wie Windrich hinzufügt "gegen seinen Willen", ist absurd. Und selbst wenn es zuträfe, stellte derlei individuelle Notwendigkeit keine Rechtfertigung dar für den habituellen Fleischkonsum innerhalb des tibetisch-buddhistischen Klerus.
Der zweite Punkt ist das abartige Hobby des Dalai Lama, mit Gewehr oder Pistole auf Tiere in seinem Garten zu schießen. In einer seiner autorisierten Biographien wird der “Gottkönig” als "Meisterschütze" mit der Pistole gepriesen, der gerne von seinem Frühstückstisch aus auf Hornissen schieße;6 auf Vögel, wie sein Privatsekretär Kelsang Gyaltsen betont, schieße er nur, um sie zu verscheuchen.7 Es ist nicht bekannt, wie man mit einem Gewehr oder einer Pistole auf Vögel schießen kann in der Absicht, sie zu verscheuchen und dabei nicht Gefahr zu laufen, sie schwer zu verletzen oder zu töten. Obgleich Windrich nicht umhin kann, diesen "ernstzunehmenden Kritikpunkt" einzuräumen, sucht er den Dalai Lama zu entlasten, indem er ihm ethisch höherstehende Motive unterschiebt: "Seine Heiligkeit" schieße nur "auf die größeren Vögel, damit diese den kleineren nicht zu nahe kommen und diese erschrecken". Im Übrigen sei der Dalai Lama halt auch "nur ein gewöhnlicher Mensch", was offenbar sein Vergnügen am Schießen auf Tiere erklären oder rechtfertigen soll. Ungeachtet aller buddhistischen Rhetorik wurde im „alten Tibet“ stets auch Jagd betrieben, Wildtierpelze zählten zum bevorzugten Handelsgut des Priesterstaates.
Nein, der Dalai Lama ist alles andere als ein "großer Unterstützer des Tierschutzes", wie Ivo Windrich meint, der ausweislich seiner Homepage den Spagat versucht, sowohl Tierrechtler als auch Verehrer des tibetischen "Gottkönigs" sein zu wollen. Als oberster Repräsentant des Vajrayana-Buddhismus beziehungsweise der Sekte der Gelbmützen verrät der Dalai Lama sämtliche tierethischen Ideale, die sich in der ursprünglichen Lehre des Buddhismus und in den Praktiken anderer buddhistischer Schulen zumindest ansatzweise finden lassen.
Jan Wischnewski
Fußnoten
1 Seidel, Stefan: Theorieschub für die Tierrechtsbewegung (Rezension). in: Tierbefreiung, 56/2007, S.55.
2 vgl. Goldner, Colin: 'Wenn Ihr Körper Fleisch braucht, ist es besser, große Tiere zu essen': Der Dalai Lama und sein ganz eigenes Verständnis vom Vegetarismus. in: Tierbefreiung 55/2007, S.58f.
3 Schuster, Gerhard: Geheimnisvolle Welt des Alten Tibet. Wien, 2001, S. 24f.
4 Ngawang, Thubten: Was Sie schon immer über Buddhismus wissen wollten...: Fragen und Antworten. Hamburg, 1998 (2. Auflage), S. 29.
5 zit.in: Stratmann, Birgit: "Fleischverzehr ist keine unheilsame Handlung" (Interview mit Jhado Rinpoche). in: Tibet und Buddhismus, 84, 1/2008, S.28f.
6 vgl. Hicks, Roger/Chogyam, Ngapa: Great Ocean: The Dalai Lama. London, 1990, S. 155.
7 vgl. Gyaltsen, Kelsang: "Er schießt nur in die Luft" (Interview). in: Facts, 9/1999, S. 99.
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